Mittwoch, 16. April 2014

Glückliche Familie Nr. 213: Kinder loben?


Um Neujahr rum hatte ich geschrieben, dass ich eine Weiterbildung machen will, die von den Ideen Jesper Juuls inspiriert ist. Netterweise bietet das Institut einen Schnuppertag an, damit Interessenten eine Idee bekommen, ob das wirklich was für sie ist. Zum Glück! Denn das Schnuppern ergab: das ist nichts für mich.
So wie ich Jesper Juul in seinen Büchern und bei einem Vortrag kennen gelernt habe, wäre das auch nichts für ihn.

So viel Herumstochern in der eigenen Kindheit, so viel Betroffenheit, so viele Tränen - irgendwann schlurfte auch ich ganz niedergeschlagen durch die Fortbildungsstätte. Und als ich abends mit meiner Reisetasche unterm Arm zur S-Bahn ging, fiel ich immer wieder in den Laufschritt. Ich konnte nicht anders. "Weg, nur weg von hier!"

Ich bin wirklich dafür herauszufinden, wer man ist und woher man kommt. Und wenn man damit abgeschlossen hat, muss man nicht weiter um sich kreisen und sich mit der "Und-was-macht-das-jetzt-mit-dir"-Frage befassen. Denn meistens macht das Tränen.

Dass man selber keine Leiche im Keller haben sollte, wenn man als Familienberater tätig werden will, hatte ich verstanden, als ich eine halbe Stunde geschnuppert hatte. Ich finde auch Supervision gut und alles. Aber wo sind die Ansätze, die uns im Familienalltag weiterhelfen? Wie werden aus Kindern Erwachsene, die nicht in Gedanken an ihre Kindheit Seminarräume fluten? Wie können Eltern ihren Kindern ein gesundes Selbstgefühl mit auf den Weg geben?

Nach der Seminar-Erfahrung hatte ich die Juul-Bücher in den vergangenen Wochen beiseite geschoben. Hatte ich den Dänen falsch verstanden oder nur herausgelesen, was mir genehm war?

Aber gestern wagte ich es und hörte ein Kapitel aus seinem Buch "Familienberatung. Perspektiven und Prozess."  und war wieder ganz begeistert. Denn da sagt er konkret, was für ein gesundes Selbstgefühl von Kindern förderlich ist.

Ich fasse das mal mit eigenen Worten zusammen*:

Juul unterscheidet zwischen Selbstvertrauen und Selbstgefühl.

Selbstgefühl       =   Gefühl dafür, wer ich bin; Fokus liegt auf dem Sein

Selbstvertrauen  =   Gefühl dafür, was ich kann; Fokus liegt auf dem Können


Das Problem beim Selbstvertrauen ist, dass es zusammenbricht, wenn die Erfolge ausbleiben, wenn die Mathearbeit daneben geht, beim Bloggen die Kommentare ausbleiben, der Kuchen misslingt, auf der Party niemand mit einem spricht.

Die meisten Eltern gehen von Klein auf bei ihren Kindern auf die Schiene "Selbstvertrauen".
"Du kannst aber toll schaukeln." - "Mensch, so eine stattliche Burg hast du gebaut." - "Versuche, das Dach noch spitzer zu malen, dann sieht es wirklich aus wie ein Haus."

Das ist gut gemeint (ich habe das auch getrieben, bis Kronprinz sich als bester Burgenbauer, Bobbycar-Pilot und Kletterwandbezwinger aller Zeiten fühlte).

Die Kinder aber wundern sich. "Ich habe doch einfach nur Spaß oder ist das hier auf dem Spielplatz ein Wettbewerb? Na ja, Mama und Papa scheinen das so zu verstehen, dann will ich mich mal tüchtig anstrengen. Einfach buddeln und genießen scheint bei den Großen nicht so anzukommen. Und das ist mir natürlich das Wichtigste, dass Mama und Papa mich toll finden. Also rutsche ich jetzt mal nicht einfach so aus purer Lust an der Geschwindigkeit und an dem Wind um die Ohren, sondern weil die Großen mich dann loben."


"Du kannst aber gut klettern!" Es würde mich nicht wundern, wenn ich damals so etwas gesagt hätte. 

Juul meint, das Kind lerne so, die Aufmerksamkeit von sich selbst wegzulenken und sich nach und nach nur noch auf die Beurteilung der Eltern auszurichten.

Wenn das eine Weile so geht auf dem Spielplatz, bekommt man Kinder mit Selbstvertrauen, aber wenig Selbstgefühl, Kinder, für die später eine Welt zusammenbricht, wenn die Lehrerin sie kritisiert oder eine Arbeit schlecht ausfällt.

Und was stärkt das Selbstgefühl?

* Dem Kind auf der Rutsche zuwinken und rufen: Du hast Spaß, oder? (eine Reaktion als Bestätigung ihres Seins wollen sie schon, aber keine Leistungs-Einstufung)

* Sich Mitfreuen an ihrem Tun, zusammen Spaß haben, kuscheln, kitzeln

* sie nicht ständig warnen: Pass auf, die Rutsche ist steil! Vorsicht, da liegt eine Scherbe! Klettere lieber nicht auf die Mauer, du könntest runterfallen! Ständige Sorgen und Ermahnungen berauben sie der eigenen Erfahrung und schwächen ihr Selbstgefühl.

* sich für das selbstgemalte Bild bedanken, zum Ausdruck bringen, dass man sich freut, vielleicht noch sagen, was man dabei empfindet ("huch, das wirkt auf mich richtig unheimlich"), aber sich nicht als Zeichenlehrer aufspielen ("die Sonne ist aber doch nicht blau", "hier noch eine Linie, dann ist es perfekt").

* im Großen und Ganzen teilhaben an ihrem Erleben, ohne immer gleich zu bewerten, was sie tun

Natürlich ist es gut, das Kind für eine tolle Leistung anzuerkennen und auch mal so Dinge zu sagen wie: "Ich bin wirklich beeindruckt, wie schnell du Radfahren gelernt hast." Aber was man vermeiden sollte, ist dieses Preisen jedes Krikel-Krakel-Bildes und diesen Dauer-Lobe-Modus.

In diesem Modus war ich auch. Und das ist jetzt mal so ein Punkt, den ich wirklich anders machen würde, wenn Kronprinz (16) und Prinzessin (13) noch einmal klein wären. Aber ich muss da jetzt nicht drüber reden, was das mit mir macht. Echt nicht.

Immer fröhlich das Leistungs-Loben lassen und die Ostertage genießen

Eure Uta

* Ich beziehe mich dabei auf "Jesper Juul. Familienberatung. Perspektiven und Prozess. Hörbuch erschienen am 19.12.2013, die Stelle, die man erreicht nach etwa zwei Stunden Hören.